Anleitung & Analyse: So demontierst du die Forderung der Bank
Die Vorfälligkeitsentschädigung (VFE) ist keine simple Subtraktion. Sie ist eine hypothetische Finanzsimulation, die in die Zukunft gerichtet ist. Die Bank simuliert: "Was wäre passiert, wenn der Kunde bis zum letzten Tag brav gezahlt hätte?" versus "Was kann ich mit dem Geld tun, das ich jetzt plötzlich zurückbekomme?". Um den Rechner oben korrekt zu bedienen und das Ergebnis als Waffe in Verhandlungen zu nutzen, musst du die Mechanik dahinter verstehen. Hier ist die Tiefenanalyse der Eingabeparameter.
1. Die Restschuld (Das Fundament)
Gib hier die valutierende Restschuld zum Zeitpunkt der geplanten Ablösung ein.
Achtung Falle: Viele Nutzer geben die Restschuld von der letzten Jahresabrechnung ein. Bis zum Kündigungstermin hast du aber (hoffentlich) weiter getilgt. Jeder Euro, den du vor dem Stichtag regulär tilgst, senkt die Basis für die Strafzahlung.
2. Der Zinssatz und die Zinsbindungsfrist
Hier entscheidet sich das Schicksal deiner Zahlung. Die VFE ist im Kern die Differenz zwischen deinem Vertragszins (Sollzins) und dem aktuellen Markt-Wiederanlagezins.
- Vertragszins > Aktueller Marktzins: Das war jahrelang der Standard. Du hast für 4% abgeschlossen, aktuell gibt es nur 1%. Die Bank verliert ein lukratives Geschäft und will die Differenz von dir (= Hohe Entschädigung).
- Vertragszins < Aktueller Marktzins: Das Szenario seit der Zinswende. Du hast für 1,5% abgeschlossen, die Bank kann das Geld jetzt für 3,5% neu verleihen. Die Bank profitiert von deiner Kündigung. Die Entschädigung muss gegen Null tendieren.
3. Der Abzug der ersparten Kosten (Dein Rechtsanspruch)
Wenn der Kredit weg ist, hat die Bank auch weniger Arbeit und weniger Risiko. Diese Ersparnisse muss sie dir gutschreiben. Banken "vergessen" das gerne oder setzen Pauschalen an, die lächerlich niedrig sind.
Ersparte Verwaltungskosten
Keine Buchungen mehr prüfen, keine Jahresauszüge verschicken. Üblich sind hier Werte zwischen 30€ und 60€ pro Jahr der Restlaufzeit. Kleinvieh macht auch Mist – bestehe darauf.
Ersparte Risikokosten
Das ist der große Hebel. Jeder Kredit birgt das Risiko, dass du pleitegehst. Wenn du den Kredit zurückzahlst, fällt dieses Risiko auf 0. Die Bank muss die "Risikoprämie", die im Zins eingepreist war, abziehen. Wir reden hier oft von 0,06% bis zu 0,2% der Restschuld pro Jahr. Bei 300.000€ und 10 Jahren sind das schnell tausende Euro.
Die Mathematik: Warum Banken "Aktiv-Passiv" lieben
Du fragst dich vielleicht: "Warum vergleicht die Bank meinen Kredit nicht einfach mit einem neuen Kredit für meinen Nachbarn?" Das wäre die Aktiv-Aktiv-Methode. Sie wäre fair, aber für die Banken schwerer zu rechnen und oft ungünstiger. Stattdessen hat der BGH die Aktiv-Passiv-Methode abgesegnet. Das ist reine Finanzalchemie, die du verstehen musst.
Die Formel des Zinsverschlechterungsschadens
Die Bank tut so, als würde sie dein zurückgezahltes Geld am Kapitalmarkt in Hypothekenpfandbriefe investieren. Die Rendite dieser Pfandbriefe (laut Zinsstrukturkurve der Bundesbank) ist der Referenzwert.
Was bedeutet das konkret?
- Der Cashflow-Vergleich: Die Bank schaut sich jeden Monat deiner Restlaufzeit an ($t$). Sie vergleicht, was du gezahlt hättest ($Zins_{Vertrag}$) mit dem, was sie am Kapitalmarkt für Pfandbriefe bekommt ($Zins_{Pfandbrief}$).
- Die Differenz: Ist dein Vertrag höher als die Pfandbriefrendite, entsteht ein monatlicher Verlust für die Bank.
- Die Barwert-Methode (Diskontierung): Ein Verlust in 5 Jahren ist heute weniger "schlimm" als ein Verlust heute (wegen Inflation und Zinseszinseffekt). Deshalb werden alle zukünftigen Verluste auf den heutigen Tag "abgezinst" (geteilt durch $(1+r)^t$). Das ist der Barwert.
- Der "Wiederanlagezins" Trick: Hier liegt der Hund begraben. Die Banken nehmen oft die Renditen der PEX-Renditenkurve. Wenn diese Kurve niedrig ist (wie 2015-2021), ist der Schaden riesig. Wenn die Kurve steigt (wie ab 2022), schrumpft der Schaden massiv.
Beispiel: Der Einfluss der Diskontierung
Stell dir vor, die Bank verliert in 10 Jahren 1.000€.
Bei einem Diskontierungszins von 0% (Niedrigzinsphase) muss sie heute 1.000€ von dir fordern.
Bei einem Diskontierungszins von 4% (Hochzinsphase) muss sie heute nur ca. 675€ fordern, weil sie diese 675€ über 10 Jahre zu 4% anlegen könnte, um auf die 1.000€ zu kommen.
Fazit: Hohe Marktzinsen sind doppelt gut für dich. Sie verringern die Zinsdifferenz UND sie sorgen für eine stärkere Abzinsung des Schadens.
Realitäts-Check: Die Tricks der Banken & Deine Strategie
Theorie ist gut, Praxis ist teuer. Hier sind die "Dirty Tricks" der Kreditinstitute und wie du dich rational dagegen wehrst. Expertise aus hunderten überprüften Abrechnungen zeigt: Blinde Akzeptanz kostet dich ein Vermögen.
1. Der Sondertilgungs-Bluff
Viele Banken berechnen den Schaden so, als würdest du den Kredit bis zum letzten Tag "normal" abbezahlen. Das ist falsch!
Rationaler Fakt: Wenn du laut Vertrag jedes Jahr 10.000€ sondertilgen dürftest, muss die Bank so rechnen, als würdest du das auch tun. Warum? Weil du im Fall der Kündigung ja theoretisch sofort alles zurückzahlst – das ist die ultimative Sondertilgung.
Deine Action: Prüfe, ob in der Berechnung der Bank die Sondertilgungsrechte voll berücksichtigt wurden. Wenn nicht: Widerspruch einlegen! Das reduziert die Zinslast, die als Berechnungsgrundlage dient.
2. Pfandtausch statt Vorfälligkeit
Du verkaufst dein Haus A, um Haus B zu kaufen? Die Bank wird versuchen, den Kredit für Haus A abzurechnen (mit VFE) und dir für Haus B einen neuen Kredit (zu aktuellen, höheren Zinsen) zu geben. Ein doppeltes Verlustgeschäft für dich.
Die Lösung: Der "Pfandtausch". Du beantragst, dass der bestehende Kreditvertrag einfach auf das neue Haus "umzieht". Das neue Haus dient als neue Sicherheit.
Rechtslage: Der BGH hat entschieden, dass die Bank dem zustimmen muss, wenn das neue Objekt eine gleichwertige Sicherheit bietet und der Bank kein unzumutbarer Verwaltungsaufwand entsteht. Lass dich hier nicht abwimmeln!
3. Der § 489 BGB Joker (Die 10-Jahres-Regel)
Dies ist das wichtigste Gesetz für Immobilienbesitzer. § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB besagt: 10 Jahre nach der vollständigen Auszahlung des Darlehens kannst du jeden Kredit mit einer Frist von 6 Monaten kündigen. Kostenlos. Egal, ob du eigentlich 15 oder 20 Jahre Zinsbindung vereinbart hast.
Rechenbeispiel: Vertrag unterschrieben 01.01.2014. Vollauszahlung 01.06.2014. Kündigung möglich zum 02.12.2024 (10 Jahre + 6 Monate Frist). Fordert die Bank für einen Verkauf im Jahr 2025 noch Vorfälligkeit? Rechtswidrig!
4. Opportunitätskosten & Inflation
Wenn du 15.000€ Vorfälligkeitsentschädigung zahlen musst, ist das Geld weg. Würdest du dieses Geld stattdessen in einen globalen ETF investieren (Annahme 7% Rendite), wären daraus in 20 Jahren knapp 60.000€ geworden.
Analysiere genau: Lohnt sich der Verkauf jetzt wirklich? Oder ist es günstiger, das Haus zu vermieten (VFE steuerlich absetzen!) und den Kredit laufen zu lassen? Nutze unseren Zinseszins Rechner, um zu sehen, was dich der Kapitalabfluss langfristig kostet.
Häufige Fragen: Was die Bank dir nicht im Flyer erklärt
Wir haben die Suchanfragen tausender Nutzer analysiert. Hier sind die Antworten auf die spezifischen Probleme, die Google oft unbeantwortet lässt.
"Kann ich die Nichtabnahmeentschädigung auch hier berechnen?"
Ja. Die Nichtabnahmeentschädigung entsteht, wenn du den Kreditvertrag unterschrieben hast, das Geld aber doch nicht abrufst (z.B. weil der Hauskauf geplatzt ist). Die Berechnungslogik (Aktiv-Passiv) ist fast identisch zur Vorfälligkeitsentschädigung. Der Schaden für die Bank ist der gleiche: Sie hat Geld für dich reserviert/refinanziert, das sie nun anders anlegen muss.
"Was passiert bei Forward-Darlehen?"
Das ist besonders bitter. Die 10-Jahres-Frist (§ 489 BGB) beginnt beim Forward-Darlehen oft schon mit Vertragsabschluss, nicht erst mit Auszahlung, aber nur wenn das Forward-Darlehen bei derselben Bank gemacht wurde (Prolongation). Bei einem echten Neuabschluss gilt wieder der Auszahlungszeitpunkt. Hier ist anwaltliche Prüfung Pflicht!
🔗 Vernetztes Finanzwissen: Dein nächster Schritt
Die Vorfälligkeitsentschädigung ist oft nur der erste Domino-Stein. Wer verkauft, muss Kosten kalkulieren und das freigewordene Kapital neu strukturieren. Nutze unsere spezialisierten Tools:
Verkaufskosten prüfen
Du verkaufst? Vergiss nicht, dass du oft Teile der Notarkosten trägst (z.B. Löschung der Grundschuld). Was bleibt netto vom Verkaufspreis?
Erlös anlegen
Nach Abzug der Vorfälligkeitsentschädigung und Restschuld bleibt Eigenkapital. Wie legst du das an, um den Verlust durch die Bankstrafe wieder reinzuholen?
Die neue Finanzierung
Planst du direkt den Neukauf? Die Zinsen sind gestiegen. Rechne hier knallhart durch, ob du dir das neue Objekt nach Abzug der VFE überhaupt leisten kannst.
Geldwertstabilität
Wenn du verkaufst und das Geld auf dem Tagesgeldkonto parkst: Die Inflation frisst deinen Verkaufserlös auf. Berechne hier den Kaufkraftverlust.
Wissen ist der einzige Schutz gegen schlechte Bankkonditionen. Nutze die Rechnerkette, um souverän zu entscheiden.